Was hätte Hedwig gedacht, wie hätte sie es gemacht? Bis heute denken, planen und handeln die Frauen des von Nyegaard-Stifts in Altona im Geiste ihrer Stifterin. Wir sprachen stellvertretend für die Bewohnerinnen mit Dr. Karin Thomsen und Maria Wendeler über das lebendige Leben in „ihrem“ Damenstift und die interessanten Geschichten des denkmalgeschützten Hauses, das von der Wichern Betreuungsgesellschaft verwaltet wird.
In den Jahren 1898 bis 1901 als reines Damenstift errichtet hat sich die Bewohnerstruktur bis heute nicht verändert: „Wie damals wohnen auch heute gemäß Hedwigs Vermächtnis alleinstehende Damen ab 60 Jahren und mit geringer Rente im Stift“, berichtet Maria Wendeler. „Es sind engagierte, selbstbewusste und kompetente Frauen, die zwar alleinstehend, aber nicht allein sind.“
Auffällig platziert ist der an der Max-Brauer-Allee gelegene schlossähnliche Gebäudekomplex mit seiner schönen großen Gartenanlage, deren Blumenrabatten von den Bewohnerinnen liebevoll gehegt und gepflegt werden. Eigens eine darauf spezialisierte Gartengruppe kümmert sich um das Blühen und Gedeihen der Pflanzen, die sorgfältig und ganz im Sinne von Hedwig ausgewählt sind, erzählen die beiden Bewohnerinnen. Seitdem durch den Ersten Weltkrieg und seine Folgen das Vermögen der Stiftung verloren ging, werden von den Frauen die Blumenbeete selbst gepflegt und diese Tradition wird bis heute fortgesetzt.
Überhaupt, das miteinander ins Gespräch kommen, das Netzwerken, die gegenseitige Unterstützung und das gemeinsam feiern, wie kürzlich beim Sommerfest, wird hier im von Nyegaard-Stift großgeschrieben.
Der Wille der Stifterin
Doch der Reihe nach: Die Stifterin Hedwig Magdalena Henriette von Nyegaard (1812-1898) entstammte einer wohlhabenden Familie, von ihrem Vater erbte sie den Grundstock des Vermögens, das sie selbst stark vermehrte. Hedwig war verheiratet mit dem dänischen Korvettenkapitän Christian Wilhelm von Nyegaard. Das Paar blieb kinderlos, ihr Mann starb nach siebenjähriger Ehe, und sie wurde mit 35 Jahren Witwe. Ihr fiel auf, dass es vielen alleinlebenden Damen „gebildeter Stände“, wie Arzt- und Offizierswitwen oder Töchter unvermögender Beamter und Prediger, finanziell nicht gut ging, dass sie in schlechten Wohnverhältnissen lebten. Daraufhin verfügte Hedwig schon zu Lebzeiten in ihrem Testament, dass ein Großteil ihres Vermögens für den Bau eines Damenstifts zur Verfügung gestellt werden und so den nachfolgenden Generationen von Frauen zu Gute kommen sollte.
Sie legte außerdem fest, dass ihre Stiftung nur von angesehenen Bürgern Altonas geleitet werden sollte und der Vorstand dem Magistrat der Stadt unterstellt wird.
Eine Wohngemeinschaft für Frauen
Schon drei Monate nach ihrem Tod wurde die von Nyegaard-Stiftung gegründet. Für den Bau auf dem Grundstück wurde ein Architekturwettbewerb im ganzen Deutschen Reich ausgelobt, wobei die Bausumme mit 250.000 Mark und die Anzahl der Bewohner*innen mit 50 Frauen fest vorgegeben war.
Die Wohnungen selbst sollten jeweils zwei Zimmer, ein Wohn- und ein Schlafzimmer haben, eine Küche sowie – auch das war den Auslobenden wichtig - ein Wasserklosett mit einem Fenster! In den Wettbewerbsunterlagen war ebenso vorgeschrieben, dass die Wohnungen gut begehbar sein sollten, das wurde durch flach gehaltene Treppenstufen umgesetzt.
Das Gebäudeensemble wurde dann vom Berliner Architekturbüro Kühn & Baumgarten geplant. Dessen Entwurf setzte sich durch, weil sie für das Wohnstift einen Putzbau auswählten, der sich in der Max-Brauer-Allee gut neben dem Gerichtsgebäude und dem Gymnasium einreihte, und weil die Architekten ausschließlich die Gewerke aus der Umgebung beauftragten.
Die daraufhin entstandenen Wohnungen waren durchschnittlich 43 Quadratmeter groß, es gab neben den Zwei-Zimmer-Wohnungen auch wenige größere Wohnungen mit einem zweiten Schlafzimmer, die von Mutter und Tochter oder Schwestern bewohnt werden konnten. Einst wurde sogar der Strom für die Bewohnerinnen bezahlt, und sie erhielten an Weihnachten alle ein Geldgeschenk.
Unter Denkmalschutz saniert
Um die letzte Jahrtausendwende stand das marode gewordene Gebäudeensemble dann tatsächlich vor dem Abriss – doch es konnte gerettet werden! Seit 2004 steht das von Nyegaard-Stift nun unter Denkmalschutz und wurde in den Jahren 2009 bis 2012 aufwändig grundsaniert, stark unterstützt und gefördert durch die Wichern Bau- und Betreuungsgesellschaft und durch die Hermann-Reemtsma-Stiftung.
Dabei wurden Fahrstühle ein- und 20 Wohnungen im Dachgeschoss ausgebaut, begehbare Duschen eingebaut sowie an den Treppen ein zusätzlicher Handlauf angebracht. Interessant ist auch, dass das Gebäude drei Jahre lang gebaut und drei Jahre lang saniert wurde. Anlässlich des 200. Geburtstages von Hedwig von Nyegaard und dem Abschluss der Sanierungsarbeiten hat die Historikerin Dr. Karin Thomsen eine Haus-Chronik angefertigt. Während ihrer Recherchearbeiten gewann sie den Eindruck, dass die Männer des Vorstandes sehr sorgsam und verantwortungsbewusst mit dem Stiftungserbe umgegangen sind.
Eine vielfältige besondere Gemeinschaft
Aktuell liegt die Netto-Kaltmiete im von Nyegaard-Stift zwischen sieben und acht Euro pro Quadratmeter, alle zwei Jahre ist eine Steigerung um 30 Cent vorgesehen.
In diesem Wohnstift gibt es viele verschiedene Gruppen, denen die Frauen sich je nach Interesse anschließen können. Im Gemeinschaftsraum wird oft und viel gespielt und gekocht. Oder es wird über Literatur, Religionen, Plattdütsch gesprochen, Kreatives gemacht, gesungen, geschrieben oder sich bewegt. Maria Wendeler schätzt wie viele andere Stiftsfrauen diese Art des Zusammenlebens und das ausgeprägte Wir-Gefühl: „Wir haben eine sehr gute Nachbarschaft hier, vergleichbar mit dem Leben in einer Wohngemeinschaft. Regelmäßig veranstalten wir interessante Aktionen wie Vernissagen, Kinoabende und verschiedene Feste. Wir sind gemeinsam aktiv, und am Geburts- und Todestag von Hedwig gehen einige von uns zu ihrer Grabstätte im Wohlerspark und bringen ihr Blumen aus unserem Garten.“
Mehr erfahren Sie unter www.nyegaard-stiftung.de
Herzlichen Dank, Frau Dr. Thomsen und Frau Wendeler für das Gespräch!